In der 38. Ausgabe unseres Newsletters finden Sie u. a. folgende Beiträge:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in unserem heutigen Newsletter geht es zunächst um das neue Hinweisgeberschutzgesetz.
Es ist zwar gut, dass das sog. Whistleblowing einen gesetzlichen Schutz gefunden hat. Fraglich ist aber, ob alles so kompliziert geregelt werden musste.
In zwei Beiträgen befassen wir uns mit erstaunlich arbeitgeberfreundlichen Entscheidungen des BAG im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen.
Unser fünfter Beitrag soll auf sprachliche „Sternstunden“ in der Juristerei aufmerksam machen
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Rechtsanwälte Thiery & Thiery
Gegenstand dieses Gesetzes, das am 02.07.2023 in Kraft getreten ist, ist das sogenannte Whistleblowing.
Die Zielsetzung dieses Gesetzes ist definiert als der „Schutz von natürlichen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen. Darüber hinaus werden Personen geschützt, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind“ (§ 1 HinSchG).
Damit nicht auch Querulanten oder „Petzer“ ohne ernsthaften Hintergrund von diesem Schutz profitieren, ist der sachliche Anwendungsbereich dieses Gesetzes beschränkt auf die Meldung und Offenlegung von Informationen über Verstöße, die in § 2 HinSchG in einem feinteiligen Katalog zusammengefasst sind.
Das HinSchG ist keine deutsche Erfindung, sondern die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Es war im Gesetzgebungsverfahren so lange und heftig streitig, dass sogar die Umsetzungsfrist (17.12.2021) versäumt und deshalb gegen Deutschland ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wurde.
Für die Entgegenahme und Bearbeitung von Hinweisen müssen Unternehmen und Organisationen mit errichten, welche im HinSchG genauestens geregelt ist. Parallel dazu wird beim Bundesamt für Justiz eine allgemeine und fachbezogen auch noch bei anderen Behörden eine externe Meldestelle eingerichtet. Für Meldungen und Offenlegungen, welche die jeweilige Landesverwaltung und die jeweiligen Kommunalverwaltungen betreff en, können die Länder eigene Meldestellen schaffen.
Hinweisgeber können selbst entscheiden, ob sie sich an die interne Meldestelle – sofern vorhanden – oder an eine externe Meldestelle wenden. Das HinSchG schützt den Hinweisgeber vor Repressalien. Es gilt eine Beweislastumkehr. Wenn ein Hinweisgeber im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit benachteiligt wird (z. B. Nichtberücksichtigung bei einer anstehenden Beförderung, Versetzung, Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages), gilt die gesetzliche Vermutung, dass die Benachteiligung eine Repressalie ist. Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass dies gerade keine Benachteiligung wegen der abgegebenen Meldung war. Gelingt dieser Entlastungsbeweis nicht, drohen Schadensersatzansprüche des Hinweisgebers sowie Bußgelder.
Es besteht für die Arbeitgeberseite dringender Handlungsbedarf. Unternehmen mit 250 und mehr Arbeitnehmern müssen unverzüglich aktiv werden, da für sie das Gesetz mit Inkrafttreten, also seit dem 02.07.2023, gilt. Kleinere Unternehmen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern haben eine Schonfrist, die aber nur bis zum 17.12.2023 geht. Das HinSchG hat ganz konkrete Vorstellungen zur Gestaltung der internen Meldestelle und deren Arbeitsweise, welche allesamt beachtet werden müssen.
Unternehmen, in denen ein Betriebsrat besteht, müssen zudem dessen Mitbestimmungsrecht beachten, weshalb wohl in der Regel der Abschluss einer Betriebsvereinbarung erforderlich ist. Bei öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern gilt Entsprechendes für den Personalrat und ggf. erforderliche Dienstvereinbarungen.
Bei der betriebsbedingten Kündigung hat die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers anhand der in §1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten Kriterien zu erfolgen. Danach ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die eventuelle Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Bei der Berücksichtigung des Lebensalters gilt: Je älter der/die Arbeitnehmer/in ist, desto schützenswerter ist er/sie.
Von diesem Grundsatz hat das BAG in seiner Entscheidung vom 08.12.2022, 6 AZR 31/22, eine wichtige Ausnahme geschaffen: Bei der Gewichtung des Lebenssachverhaltes kann zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei (Rente wegen besonders langjähriger Versicherung) bezieht. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von 2 Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf insoweit nicht berücksichtigt werden.
In der Pressemitteilung des BAG Nr. 46/22 vom 08.12.2022 heißt es hierzu:
„Sinn und Zweck der sozialen Auswahl ist es, unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten Auswahlkriterien gegenüber demjenigen Arbeitnehmer eine Kündigung zu erklären, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist. Das Auswahlkriterium „Lebensalter“ ist dabei ambivalent. Zwar nimmt die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, weil lebensältere Arbeitnehmer nach wie vor typischerweise schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie fällt aber wieder ab, wenn der Arbeitnehmer entweder spätestens innerhalb von 2 Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente wegen Alters – mit Ausnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen – verfügen kann oder über ein solches bereits verfügt, weil er eine abschlagsfreie Rente wegen Alters bezieht. Diese Umstände können der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien bei dem Auswahlkriterium „Lebensalter“ zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigen. Insoweit billigt ihnen § 1 Abs. 3 KSchG einen Wertungsspielraum zu.“
Wer länger als 6 Monate in einem Betrieb mit mehr als 10 Arbeitnehmern beschäftigt ist, hat Kündigungsschutz nach dem KSchG. Ordentliche Kündigungen des Arbeitgebers sind dann nur bei Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse wirksam.
Eine betriebsbedingte Kündigung setzt den dauerhaften Wegfall von Arbeitsbedarf voraus. Er ergibt sich in den meisten Fällen aus einer betriebsbezogenen Unternehmerentscheidung des Arbeitgebers, wie z. B. aus einer Filial- oder Abteilungsschließung. Er kann aber auch von außen an den Betrieb herangetragen werden, wie z. B. bei einem nachzuweisenden Auftragsrückgang. Außerdem muss der Wegfall von Arbeitsbedarf dort eintreten, wo der gekündigte Arbeitnehmer zuletzt eingesetzt wurde und muss spätestens innerhalb der Kündigungsfrist „greifbare Formen“ annehmen.
Eine Unternehmensentscheidung wird vom Arbeitsgericht nicht auf die sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin überprüft. Etwas anderes galt nur, wenn die Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.
Unabhängig von dem konkreten Fall (Aufgabenverlagerung innerhalb eines Konzerns) hat das BAG Feststellungen getroffen, die auch in anderen Konstellationen des betriebsbedingten Grundes von hohem Interesse sind: Die Gerichte sind grundsätzlich an die vom Arbeitgeber getroffene Unternehmerentscheidung gebunden. Der Arbeitgeber kann – so wörtlich – bis zur Grenze der Willkür auch wirtschaftlich nicht notwendige Organisationsentscheidungen treffen.
Interessant ist dabei, dass das BAG mit dieser neuen Entscheidung von einer früheren Rechtsauffassung abgewichen ist, ohne sie förmlich aufzugeben. In seiner früheren Rechtsprechung hat das BAG eine besondere Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers hinsichtlich der Kündigungsgründe gesehen, wenn die Organisationsentscheidung inhaltlich dem Kündigungsentschluss nahe gerückt ist. Waren bei betriebsbedingten Einzelkündigungen die Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers, d. h. der Entschluss zur Streichung einer einzigen Stelle, und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich, dann musste der Arbeitgeber seine Entscheidung „hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen“ (s. z. B. BAG, Urt. v. 24.05.2012, 2 AZR 124/11, Rd. 22).
Diese Rechtsprechung wendet das BAG selbst nicht mehr an. Im Gegensatz betont das BAG nunmehr, dass die Unternehmerentscheidung bei betriebsbedingten Einzelkündigungen sodann grundrechtlich geschützt und hinzunehmen ist, wenn bereits zum Kündigungszeitpunkt absehbar ist, dass der Arbeitgeber mit seiner Maßnahme die angestrebten Ziele nicht erreichen kann.
Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil von organisatorischer Durchführbarkeit und zeitlicher Nachhaltigkeit.
Das Thema „Massenentlassung“ ist zwar wegen der aktuellen Arbeitsmarktlage nicht akut. Die Entscheidung des EuGH vom 13.07.2023, C-134/22 G GmbH, zeigt aber, dass Entbürokratisierungen möglich sind und sollte alleine schon aus diesem Grund erwähnt werden.
Sind Entlassungen in größerem Umfang geplant, müssen Unternehmen vor Ausspruch der Kündigung eine Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit vorlegen und dabei zahlreiche formelle Hürden überwinden. Fehler können nach der Rechtsprechung des BAG zur Nichtigkeit der betriebsbedingten Kündigungen führen. Die praktischen und wirtschaftlichen Auswirkungen sind enorm.
Eine der formalen Hürden findet sich in § 17 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 KSchG: In Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat einbeziehen und dabei über zahlreiche, in § 17 Abs. 2 KSchG gesetzlich festgelegte Details der geplanten Entlassungen unterrichten.
Nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hat der Arbeitgeber „gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten“. Diese Übermittlungspflicht ist auch in der Europäischen Massenentlassungsrichtlinie RL 98/59 EG-MERL enthalten.
Das BAG hat in einem Vorlagebeschluss an den EuGH die Frage aufgeworfen, ob auch ein Verstoß gegen diese Übermittlungspflicht gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG zur Nichtigkeit der Kündigungen führt. Dabei hat es Zweifel daran laut werden lassen, ob die Nichtigkeit der Kündigung auch durch die Verletzung von Regelungen herbeigeführt werden kann, welche nicht auch die Interessen der Beschäftigten schützen sollen.
Zweifel hatte das BAG an der individualschützenden Wirkung des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG erhoben. Der EuGH hat dem im Lichte der RL 98/59 EG-MERL beigepflichtet und die Rechtsauffassung vertreten: Anders als die generelle Verpflichtung zur Anzeige von Massenentlassungen setzt die Übermittlungspflicht der MERL weder eine vom Arbeitgeber einzuhaltende Frist in Gang noch schaff t sie eine Verpflichtung für die zuständige Behörde. Daher erfolgt die Übermittlung nur zu Informations- und Vorbereitungszwecken, damit die Behörde ggf. ihre weiteren Befugnisse wirksam ausüben kann.
Als Folge dieser Entscheidung wird das BAG in den vorgelegten Verfahren durch Urteil feststellen, dass ein Verstoß gegen die Übermittlungspflicht des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigungen führt. Die Verletzung der Unterrichtungspflicht der Agentur für Arbeit gegenüber, also die Pflicht zur Vorlage der Betriebsratsunterrichtung, ist somit sanktionslos.
Mit Geltung ab dem 01.01.2004 gibt es die Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung (GrundVZÜV). Der Name der Verordnung ist nur unwesentlich kürzer als der Verordnungstext selbst.
Das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz (Rfl EttÜAÜG) wurde zwar im Jahre 2013 bereits aufgehoben. Der sprachliche Bandwurm hat jedoch nichts an Charme verloren.
Neu, nämlich aus dem Jahre 2023, ist das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs-und-Versorgungsverbesserungsesetz (ALBVVG).
Des Weiteren kennen wir die San-José-Schildlaus-Bekämpfungsverordnung (SJSchildlV). In § 4 Abs. 4 findet sich die sportliche Regelung: „Eine Pflanze gilt als befallen, wenn sich an ihr mindestens eine San-José-Schildlaus befindet, die nicht nachweislich tot ist“. Diesen Nachweis möchte man geführt sehen. Das Tierchen ist 0,2 – 2 mm groß.
Erleichtert stellt man anhand von § 87 Abs. 3 StPO fest: „Zur Besichtigung oder Öffnung einer schon beerdigten Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft“.
Völlig aus der Zeit gefallen sind die §§ 979 Abs. 1, 981 und 982 BGB. Dort ist 78 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges immer noch von „Verkehrsanstalten des Reichs“, „Reichsbehörden“, „Reichsanstalten“ und „Reichsfiskus“ die Rede. Ist es denn so schwer, diese Paragraphen der geschichtlichen und historischen Gegenwart anzupassen?
Wie schön, dass uns die Neuzeit Werke wie das „Starke-Familien-Gesetz“ und das „Gute-KiTa-Gesetz“ gebracht hat. Da weiß man doch auf Anhieb, worum es geht!
Herausgeber: Rechtsanwälte Thiery & Thiery
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